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Vertragsarztrecht/DigitalisierungKV Bayerns erzielt vor Gericht Teilerfolg gegen Telemedizin-Plattform

06.08.202561 Min. LesedauerVon Rechtsanwältin, Fachanwältin für Medizinrecht und Sozialrecht Dr. Babette Christophers LL.M., Münster, aesculaw.de

| Die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) hat vor dem Sozialgericht (SG) München einen Teilerfolg gegen den Telemedizinanbieter Teleclinic erzielt. In erster Instanz untersagte das Gericht zentrale Elemente des Geschäftsmodells – insbesondere im Hinblick auf dessen Einbindung in die vertragsärztliche Versorgung. Konkret betrifft das Urteil die Tätigkeit von Teleclinic im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in Bayern. Andere Plattformen und Patienten in anderen Bundesländern sind zunächst nicht direkt betroffen. Dennoch könnte das Urteil Signalwirkung für die Branche haben (Urteil vom 29.04.2025, Az. S 56 KA 325/22). |

Gericht rügt mehrere Aspekte des Modells

Gegenstand des Verfahrens waren verschiedene Angebote und Praktiken der Plattform, die aus Sicht der KVB den gesetzlichen Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung verletzen und den Sicherstellungsauftrag der KVen (§ 75 SGB V) gefährden. Die KVB hatte insbesondere Unterlassungsansprüche hinsichtlich der folgenden sechs Punkte geltend gemacht.

1. Registrierungspflicht vor Videosprechstunde

Teleclinic forderte bislang eine vorherige Registrierung von Patienten, bevor eine Videosprechstunde in Anspruch genommen werden konnte. Das Gericht stellte klar: Eine solche Voraussetzung ist unzulässig – sie darf nicht Bedingung für den Zugang zur Versorgung sein.

2. Elektronische Patientenakte

Der von Teleclinic angebotene digitale Dokumentenordner wurde vom Gericht als elektronische Patientenakte (ePA) gewertet. Diese dürfe jedoch ausschließlich im gesetzlich vorgesehenen Rahmen geführt werden. Die Plattform sei nicht befugt, für Vertragsärzte eigenständig Patientenakten zu verwalten – selbst wenn Patienten ihre Zustimmung zur Datenspeicherung erteilen.

3. Eingeschränkte Arztwahl

Ein weiteres zentrales Problem sah das Gericht in der eingeschränkten Möglichkeit zur freien Arztwahl. Nutzer konnten den behandelnden Arzt nicht vorab einsehen oder auswählen. Das widerspreche dem Recht auf freie Arztwahl gemäß Sozialgesetzbuch und wurde untersagt.

4. Irreführende Werbung für DiGA

Auch die Bewerbung digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) durch Teleclinic wurde beanstandet. Die Plattform hatte pauschal für eine DiGA bei „depressiven Episoden (ICD F32 oder F33)“ geworben, obwohl deren Einsatz nur bei spezifischen Unterdiagnosen erlaubt ist. Das Gericht wertete dies als unzulässige Irreführung nach dem UWG (§ 5 Abs. 1 UWG).

5. Apotheken-Kooperation

In der Einbindung bestimmter Kooperationsapotheken bei der Einlösung digitaler Rezepte erkannte das Gericht einen Verstoß gegen Marktverhaltensregeln. Teleclinic dürfe nicht gezielt Versandapotheken bevorzugen und Vertragsärzte indirekt zu Verstößen anstiften.

6. Vergütungsmodell für Ärzte

Schließlich untersagte das Gericht ein erfolgsabhängiges Vergütungsmodell, bei dem Ärzte eine Vermittlungsgebühr pro durchgeführtem Patientengespräch entrichteten. Dies verstoße gegen die Berufsordnung für Ärzte in Bayern, die Zuweisung gegen Entgelt untersagt.

Bedeutung für die Telemedizin-Branche

Auch wenn das Urteil nur Teleclinic und gesetzlich Versicherte in Bayern betrifft, ist die Entscheidung von grundsätzlicher Bedeutung. Sie stellt klar, dass digitale Gesundheitsdienstleister sich an die Spielregeln der vertragsärztlichen Versorgung halten müssen – insbesondere im Hinblick auf

  • Transparenz,
  • Arztwahl,
  • Datenschutz und
  • Vergütung.

Teleclinic wird nach ersten Äußerungen in der Presse gegen das Urteil Berufung einlegen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtslage in den nächsten Instanzen weiterentwickelt – und welche Auswirkungen das Verfahren auf die Regulierung der Telemedizin in Deutschland insgesamt haben wird.

Exkurs | Die Bedeutung der Rahmenbedingungen für Videosprechstunden ist groß. Das zeigt sowohl das Ringen um die dafür geltenden Regeln (lesen Sie hierzu auch den Beitrag auf Seite 2 dieser Ausgabe [„Mehr Videosprechstunden bei unbekannten Patienten – bisherige Obergrenze gekippt“]) als auch die rasante Entwicklung der Inanspruchnahme von Videosprechstunden, wie aktuelle Zahlen des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) verdeutlichen:

  • So sind im Jahr 2024 in der vertragsärztlichen Versorgung 2,7 Mio. Videosprechstunden durchgeführt und abgerechnet worden.
  • Das Plus von 545.000 Videosprechstunden im Vergleich zum Vorjahr 2023 entspricht einem Wachstum von rund 25 Prozent über alle Arztgruppen.
  • Gut 50 Prozent der Videosprechstunden entfielen auf den hausärztlichen Versorgungsbereich.
    • Der Zuwachs bei den Hausärzten betrug rund 50 Prozent und führte zu rund 1,375 Mio. Videosprechstunden der Hausärzte in 2024.
    • Der Zuwachs bei den Kinder- und Jugendärzten betrug rund 47 Prozent und führte zu rund 60.000 Videosprechstunden in 2024.

Die Zahlen stammen aus dem Zi-Trendreport 2024, der im Juli 2025 veröffentlicht wurde und online unter iww.de/s13265 zur Verfügung steht.

AUSGABE: AAA 8/2025, S. 15 · ID: 50502744

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