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Handlungsempfehlung in unsicheren ZeitenOmnibus strategisch nutzen statt abwarten

LeseprobeAbo-Inhalt08.07.202524 Min. LesedauerVon Luise Rößner, Publisher Consultants GmbH, Tutzing

| Was lange als gesetzt galt, wird seit einiger Zeit wieder hinterfragt: Das ausbleibende CSRD-Umsetzungsgesetz und das laufende Omnibusverfahren haben viele Unternehmen verunsichert. Müssen wir jetzt berichten oder nicht? Sollen wir trotzdem mit dem Thema Nachhaltigkeit anfangen oder lieber abwarten? Lohnt es sich, in der aktuellen Situation Arbeit, Zeit und Geld zu investieren? Was können wir jetzt schon tun, trotz politischer Unsicherheiten und ohne dass die Maßnahmen irgendwann vergebens waren? Luise Rößner zeigt in diesem Beitrag Wege, Nachhaltigkeit strategisch zu nutzen. |

1. Rolle rückwärts in der Nachhaltigkeitsgesetzgebung

Scheinbar macht die EU-Kommission aktuell eine Rolle rückwärts in Sachen Nachhaltigkeitsregulierungen. Aber ist das wirklich so? Maßgeblich vom Omnibusverfahren zur Nachhaltigkeitsgesetzgebung betroffen sind aktuell die CSRD, die EU-Taxonomie und das EU-Lieferkettengesetz (CSDDD). Eine Forderung aus der Wirtschaft wurde bereits umgesetzt: In Bezug auf „Stop the Clock“ ist sich die EU einig geworden. Damit haben alle großen sowie börsennotierten kleinen und mittelständischen Unternehmen, die die Berichterstattung noch nicht aufgenommen haben, zwei Jahre länger Zeit, um sich auf die Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung vorzubereiten. Teil des Omnibusverfahrens ist auch die Anpassung der Größenklassen für Unternehmen. Laut Vorschlag der EU-Kommission sollen zukünftig nur noch Unternehmen berichtspflichtig werden, die folgende Schwellenwerte überschreiten:

  • 1.000 Mitarbeitende und
  • 50 Mio. EUR Jahresumsatz oder
  • 25 Mio. EUR Bilanzsumme

Dadurch würde der einst große Kreis an berichtspflichtigen Unternehmen (ca. 15.000) deutlich verkleinert. Ein weiterer Aspekt des Omnibusverfahrens ist eine Vereinfachung der ESRS, um den Aufwand für die Berichtspflichten zu verringern.

Merke | Zu der Veränderung der Größenklassen sowie zur Vereinfachung der ESRS gibt es aktuell aber noch keine durch das EU-Parlament und den EU-Rat bestätigte Entscheidung.

2. Ist die nachhaltige Transformation nun abgeschafft?

Die Anforderungen in Sachen Nachhaltigkeit können aber ebenso durch die Hintertür kommen. Denn an den Verpflichtungen für Finanzinstitute und Banken wird sich nichts ändern. Sie sind weiterhin darauf angewiesen, ESG-Daten bei ihren Kunden abzufragen, um die eigenen Berichtspflichten überhaupt erfüllen zu können. Ähnlich sieht es bei Versicherungen aus. Die Frage, welche Geschäftsmodelle zukünftig noch versicherbar sind, wird zunehmend lauter. Und das schlägt sich auch in den Konditionen nieder. Unternehmen, die eine klare Nachhaltigkeitsstrategie und einen robusten Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken verfolgen, sind hier im Vorteil.

Während wir uns in Europa darüber uneinig sind, wie viel Transparenz einerseits, wie viel Bürokratie andererseits, verhältnismäßig ist, um unseren Wohlstand langfristig zu sichern, legen andere Nationen in Sachen Nachhaltigkeitsberichtspflichten nach, wie beispielsweise Kanada, China, Australien und Neuseeland. Der allgemeine Trend geht also weiterhin in Richtung mehr Nachhaltigkeit. Eine Kehrtwende ist nicht zu erkennen.

3. Aktuell: Müssen wir berichten oder nicht?

Für in Deutschland ansässige Unternehmen bedeutet die ausbleibende Umsetzung der CSRD und das laufende Omnibus-Verfahren, dass die bisher gültigen Regelungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung bestehen bleiben. Das heißt: Betroffene große Unternehmen müssen weiterhin nach dem seit 2017 gültigen CSR-Richtlinien-Umsetzungsgesetz (CSR-RUG) berichten. Die Ausweitung der Berichtspflichten auf einen größeren Kreis an Unternehmen entfällt damit bis auf Weiteres. Wer genau in Zukunft berichtspflichtig sein wird oder nicht, ist aktuell unklar. Für Unternehmen, die bereits jetzt oder in naher Zukunft von den Berichtspflichten nach CSRD betroffen gewesen wären, bedeutet das vor allem Unsicherheit. Manche stecken schon mitten in den Vorbereitungen und fragen sich jetzt, ob Sie zu viel Aufwand betrieben haben. Andere zögern, sich auf die bestehenden Herausforderungen vorzubereiten. Aber keiner weiß genau, wann welche Anforderungen nun erfüllt sein müssen. Unternehmen können ihre nichtfinanzielle Berichterstattung jedoch freiwillig unter Anwendung der ESRS erstellen – oder den VSME-Standard nutzen.

Der VSME-Standard ist ein freiwillig anzuwendender Standard und soll kleinen und mittelständischen Unternehmen bei standardisierten Abfragen von großen Unternehmen aus der Lieferkette dienlich sein, ähnlich wie ein Schutzschild.

Was das Verschlafen oder Ignorieren von gesellschaftlich und politisch hoch relevanten Entwicklungen zur Folge hat, haben uns in der Vergangenheit zahlreiche Beispiele gezeigt:

Beispiele

  • Kodak hat die Entwicklung der Digitalfotografie falsch eingeschätzt und ist in der Bedeutungslosigkeit verschwunden.
  • Nokia hat den Aufstieg des Smartphones ignoriert und spielt im Markt keine Rolle mehr.
  • Und einige deutsche Automobilhersteller haben die Antriebswende verpennt und kämpfen jetzt weltweit um ihre Marktanteile.

Genauso wird es Unternehmen gehen, die Nachhaltigkeit nicht in ihre Unternehmensstrategie integrieren und sich damit viel Innovationspotenzial entgehen lassen. Denn die Notwendigkeit, ins Tun zu kommen, wird mit jedem Tag größer. Und das unabhängig von Gesetzen und Richtlinien.

4. Abwarten oder lieber anfangen mit diesen Maßnahmen

Die konkreten, bis ins letzte Detail ausformulierten Berichtsanforderungen zum Thema Nachhaltigkeit entstammen den Berichtsstandards und da gibt es aktuell einige Unklarheiten. Und trotzdem sind die Standards nicht aus reinem Selbstzweck entstanden, sondern aufgrund einer geopolitischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Notwendigkeit. Und dieser Druck steigt, gerade durch das kollektive Abwarten. Man kann trotz Unsicherheit einiges tun:

4.1 Wesentlichkeitsanalyse: Zukünftige Berichtspflichten identifizieren

Man kann schon jetzt eine Wesentlichkeitsanalyse durchführen und seine relevanten Themen identifizieren. Erst danach ist überhaupt klar, wie groß zukünftig der Umfang der Berichtspflichten sein wird. Das heißt, erst nach der Wesentlichkeitsanalyse kann man tatsächlich einschätzen, was getan werden muss und bis wann. Und erst mit diesem Wissen kann man eine bewusste Entscheidung treffen. Alles andere wäre Blindflug.

Das Warten auf gesetzliche Vorgaben führt im Endeffekt nur zu unterschiedlichen Wettbewerbspositionen. Alle Unternehmen, die Nachhaltigkeit als Selbstzweck proaktiv vorantreiben, erzielen sehr wahrscheinlich Fortschritte, die von etwaigen Wettbewerbern nicht mehr oder nur mit deutlich größerem Einsatz von Arbeit, Zeit und Geld aufgeholt werden können. Gleichzeitig ist die Wesentlichkeitsanalyse ein wunderbares Tool, um Mitarbeitende an der Weiterentwicklung des eigenen Unternehmens teilhaben zu lassen, Wissen in die eigene Organisation zu tragen und die Akzeptanz zukünftiger Strategien und Maßnahmen zu erhöhen.

4.2 Ökologischen Fußabdruck bemessen

Trotz Ungewissheit über zukünftige Berichtspflichten kann man klimarelevante Emissionen bilanzieren, den Wasserverbrauch entlang der Wertschöpfungskette und andere ökologische Parameter messen. Denn erst wenn klar ist, wo die größten Treiber des Ressourcenverbrauchs sind, kann man wirkungsvolle Maßnahmen, Ziele und Strategien entwickeln und damit Fortschritt ermöglichen. Auch hier läuft man nicht Gefahr, zu viel Aufwand zu betreiben, denn die Vereinfachung der ESRS soll sich vor allem auf die qualitativen Datenpunkte beziehen.

4.3 Stakeholder-Dialoge führen

Es gibt die gesetzlichen Berichtsanforderungen – aber kennen Sie auch die Position Ihrer Stakeholder zum Thema Nachhaltigkeit? Was sagen Ihre Kunden, Geschäftspartner, Ihre Kreditgeber, Ihre Versicherung dazu? Stakeholder-Dialoge sind – gut gemacht – sehr aufschlussreich. Der Austausch über Erwartungen, Ziele und Nachhaltigkeitsleistungen bringt Klarheit, Transparenz, Akzeptanz, mehr Innovation, eine leichtere Entscheidungsfindung und Risikoerkennung und führt zu kreativen Lösungen.

4.4 Verständnis des nachhaltigen Geschäftsmodells entwickeln

Nutzen Sie die gewonnene Zeit zur Strategieentwicklung. Zukunft entsteht nicht im luftleeren Raum, wir können sie aktiv mit gestalten:

  • Wie sieht Ihre Vision für die Zukunft aus?
  • Welche Zukunftsszenarien sind am wahrscheinlichsten?
  • Welche Risiken birgt ihr Geschäftsmodell?
  • Wie können Sie resilienter werden?
  • Wo fehlt Ihnen Wissen und Kompetenz, um zukunftsfähig zu bleiben?
  • Wie verändern sich Märkte, Kunden und Produkte?

Dafür müssen Sie nicht bei null anfangen. Stellen Sie bestehenden strategische Gedanken auf den Prüfstand, entwickeln Sie diese weiter und ergänzen Sie alle Aspekte, die fehlen.

5. Lohnt sich die Berichterstattung derzeit noch?

Es lohnt sich immer, vor allem wenn man dabei effizient vorgeht und Wirksamkeit priorisiert. In vielen Fällen führt eine datenbasierte Steuerung von Nachhaltigkeitsleistungen zu Kostenersparnis und Prozessoptimierungen.

Das hängt natürlich immer von der Ausgangslage ab. Wenn man sich mit der CSRD beschäftigt, obwohl man noch gar nicht muss, profitiert man immer von einer verbesserten Risikofrüherkennung. Das gilt für potenzielle Risiken (z. B.: klimabezogene Störungen der Lieferkette), aber auch für neue Wachstumsfelder (innovative, grüne Produkte, mögliche Disruptionen). Ein gutes Nachhaltigkeitsrating verbessert die Bonität und kann zu besseren Konditionen führen. Eine nachhaltige Unternehmensausrichtung hilft, sich bei Kunden, Partnern und Mitarbeitenden vom Wettbewerb abzuheben. Gerade in Märkten mit hohem Konkurrenzdruck kann ein nachhaltiges Unternehmensprofil zu Preisprämien, Loyalität und höheren Marktanteilen beitragen. Reputationsvorteile und Vertrauensvorschuss gibt es obendrein.

Die Herausforderungen bei der Umsetzung der Regulatorik erfordern Arbeit, Zeit und Geld. Kein Mensch braucht da zusätzliche Irrungen, indem das Thema öffentlich in einen falschen oder unwahrscheinlichen Kontext gesetzt wird. Unverhältnismäßige bürokratische Belastungen von Unternehmen bringen jedoch auch keinen Gewinn. Aber was genau ist eigentlich unverhältnismäßig, wenn es um die Sicherung unserer Lebensgrundlage und unseres Wohlstands geht? Auch im Global Risk Report 2024 (www.iww.de/s13232) dominieren ökologische Risiken weiterhin die Risikolandschaft. Für eine Periode von zehn Jahren, so die Experten, gehören Extremwetter, der Verlust der Artenvielfalt, der Zusammenbruch von Ökosystemen, die Verknappung von natürlichen Ressourcen sowie Umweltverschmutzung zu den zehn größten Risiken.

Fazit | Dem Klima und der Biodiversität ist es herzlich egal, ob wir die CSRD in nationales Recht umsetzen, entschlacken oder abschaffen oder ob wir die nächsten zwei Jahre noch rumtrödeln. Das Einzige, was da hilft, ist intensive Auseinandersetzung mit den Themen sowie wirksamen Maßnahmen und Strategien. Deshalb nochmal meine klare Empfehlung: Anfangen. Es lohnt sich.

ID: 50419404

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