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SteuerhinterziehungHinterziehung in der Gastronomie: BGH präzisiert den Begriff der prozessualen Tat
| Anlässlich eines Falls aus der Gastronomie stellt der BGH klar, wie praxisrelevant der Begriff der prozessualen Tat ist und dass auch das Straf-gericht die konkrete Art der Gewinnermittlung feststellen muss. |
Sachverhalt
Der Angeklagte A betrieb zwischen 2014 und 2015 ein chinesisches Buffetrestaurant als Einzelunternehmen. Ab März 2015 übernahm dieses seine Ehefrau Z, die es bis 2018 nach außen als Alleininhaberin betrieb. Intern traf A allerdings weiterhin grundlegende Entscheidungen und vertrat das Einzelunternehmen zudem nach außen. Bereits zu Beginn des Restaurantbetriebs wurde das Kassensystem manipuliert, sodass die erzielten Einnahmen und Umsätze nicht vollständig erfasst wurden. A und Z gaben für die betreffenden Besteuerungszeiträume überwiegend weder USt-, GewSt- noch ESt-Erklärungen ab. Eine Ausnahme war das Veranlagungsjahr 2014: Zwar unterließ A auch hierfür zunächst die Abgabe von Erklärungen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO). Er gab allerdings im Anschluss an einen im April 2016 durch das FA erlassenen Schätzungsbescheid für 2014 im August 2016 die ESt-Erklärung für 2014 ab. Die StA hat A insoweit wegen Nichtabgabe der ESt-Erklärung (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) angeklagt. Das LG hat A hingegen wegen Abgabe einer falschen ESt-Erklärung 2014 verurteilt, § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO. A und Z verkürzten insgesamt nahezu 1 Mio. EUR ESt, GewSt und USt. Gegen die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe hat A Revision eingelegt. Diese ist z. T. erfolgreich.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist teilweise begründet (BGH 12.12.24, 1 StR 112/24, Abruf-Nr. 246837).
Soweit die Hinterziehung der ESt für das Jahr 2014 betroffen war, hat der Senat das Verfahren wegen Vorliegens eines Verfahrenshindernisses eingestellt, § 206a Abs. 1 StPO, § 354 Abs. 1 StPO: Die zur Verurteilung durch das LG führende Tat der Steuerhinterziehung durch eine Falscherklärung des A war nicht von der unverändert zugelassenen Anklage erfasst. Das wäre jedoch Voraussetzung dafür gewesen, den A zu verurteilen. Mit Bekanntgabe des Schätzungsbescheids an A im April 2016 war die Steuerverkürzung nicht nur vollendet, sondern beendet. Die Falschabgabe im August 2016 stellt damit gegenüber dem im April 2016 abgeschlossenen Sachverhalt einen neuen prozessualen Sachverhalt dar, der von der Anklage nicht umfasst war. Um verfahrensgegenständlich zu werden, hätte die Anklage diese Falscherklärung aufnehmen müssen (vgl. BGH v. 12.6.24, 1 StR 416/23).
Zudem hielt der Strafausspruch rechtlicher Überprüfung nicht stand, da das LG den Umfang der verkürzten Steuer falsch berechnet hat: Bezüglich der GewSt und ESt kann der Senat nicht erkennen, auf welche Art der A seinen Gewinn (§ 7 S. 1 GewStG; § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG) ermittelte. Auch kann nicht ausgeschlossen werden, dass dem A oder nachfolgend der Z aufgrund des Umfangs des Restaurants und dessen Umsätzen bei der Ermittlung des Gewinns überhaupt kein Wahlrecht zustand, sondern sie bilanzieren mussten (§ 140 AO; § 238, § 241a, § 5, § 1 HGB). Für Gewinneinkünfte sieht § 4 Abs. 1 S. 1 EStG grundsätzlich die Ermittlung des Gewinns aufgrund des (bilanziellen) Bestandsvergleichs vor (vgl. BFH 18.1.23, I R 48/19). Ein Gewinnermittlungssubjekt, das nicht aufgrund gesetzlicher Vorschriften verpflichtet ist, Bücher zu führen und regelmäßig Abschlüsse zu machen, kann seinen Gewinn gem. § 4 Abs. 3 S. 1 EStG wahlweise auch durch Einnahmeüberschussrechnung ermitteln. Trifft ein nicht buchführungs- und abschlusspflichtiger Steuerpflichtiger keine Wahl, verbleibt es bei der Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich (vgl. BFH 20.4.21, IV R 3/20). Maßgeblich für die Ausübung des Wahlrechts ist die tatsächliche Handhabung der Gewinnermittlung (BGH 28.7.15, 1 StR 602/14).
Relevanz für die Praxis
Die Entscheidung behandelt zwei praxisrelevante Themenfelder, die für alle im Steuerstrafrecht Tätigen sehr relevant sind: der Begriff der prozessualen Tat und die Art der Gewinnermittlung.
Falls die ausgeurteilte Tat nicht von der Anklageschrift der StA umfasst war, ist das Verfahren einzustellen. Dies geschieht von Amts wegen, d. h., ohne dass es eines entsprechenden Antrags oder einer Rüge bedarf. Denn nach § 264 Abs. 1 StPO ist Gegenstand der Urteilsfindung allein die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt.
Tat i. S. d. Vorschrift ist ein einheitlicher geschichtlicher Vorgang, der sich von anderen ähnlichen oder gleichartigen unterscheidet und innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll. Dabei ist nicht nur auf den in der Anklage umschriebenen und dem Angeklagten zur Last gelegten Geschehensablauf abzustellen, sondern auf sein gesamtes Verhalten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorgang nach der Auffassung des Lebens ein einheitliches Vorkommnis bildet. Sofern das materielle Recht nicht ausnahmsweise mehrere selbstständige Sachverhalte zu einer Handlungseinheit zusammenfasst, ist prozessuale Tatidentität grundsätzlich anzunehmen bei materiell-rechtlicher Tateinheit. Im Steuerstrafrecht werden der Umfang und die Reichweite der prozessualen Tat neben der einschlägigen Blankettvorschrift maßgeblich durch die sie ausfüllenden Normen des Steuerrechts bestimmt.
So liegt bei der Hinterziehung von ESt hinsichtlich eines Veranlagungszeit-raums materiell-rechtlich und somit auch prozessual eine einheitliche Tat vor. Maßgeblich dafür ist die Festsetzung als Jahressteuer aufgrund einer Steuererklärung (§ 2 Abs. 7, § 25 Abs. 1, Abs. 3 S. 1, § 36 Abs. 1 EStG, § 90 ff., § 149 ff. AO), in deren Rahmen die verschiedenen Einkunftsarten lediglich Rechnungsposten bilden, § 2 Abs. 1, Abs. 5 S. 1 EStG. Aufgrund des in § 370 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 4 AO normierten Verhaltens bzw. Taterfolgs kann ESt daher immer nur insgesamt und nicht nur bzgl. einzelner Einkunftsarten hinterzogen werden (vgl. BGH 27.5.09, 1 StR 665/08).
Auch sind die Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen sowie die nachfolgende ESt-Erklärung eine einzige materiell-rechtliche und damit auch prozessual eine Tat, und zwar im Wege einer Bewertungseinheit. Dies folgt aus der Bindungswirkung des vom zuständigen FA erlassenen Feststellungsbescheids für das Wohnsitz-FA bei der Festsetzung der ESt hinsichtlich der Einkünfte aus den Gesellschaften, § 171 Abs. 10, § 180 Abs. 1 Nr. 2a, § 182 Abs. 1 S. 1 AO. I. d. S. ist mit Erlass des Feststellungsbescheids als einem nicht gerechtfertigten Steuervorteil für den Kommanditisten der KG bzw. Mitgesellschafter der GbR die Steuerstraftat vollendet; die nachfolgende ESt-Erklärung und der unrichtige ESt-Bescheid führen mit der Steuerverkürzung zur Tatbeendigung (vgl. zuletzt BGH 24.1.24, 1 StR 218/23).
Ob dem A vorliegend überhaupt ein Gewinnermittlungswahlrecht nach § 4 Abs. 3 S. 1 EStG zustand und, falls ja, ob er es ausgeübt hat, teilt das LG nicht mit. Diese Fragen können jedoch auch steuerstrafrechtlich nicht dahinstehen. Denn sie sind insbesondere infolge der Auswirkung der hinterzogenen USt auf die Höhe der Gewinne und damit auf den Schuldumfang bei der Hinterziehung von ESt und GewSt unmittelbar ergebnisrelevant. Wird der Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt, ist für den Schluss des betreffenden Wirtschaftsjahrs das Betriebsvermögen anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist, § 5 Abs. 1 S. 1, § 4 Abs. 1 EStG.
Die USt, die beim FA angemeldet ist und die abgeführt werden muss, stellt eine Verbindlichkeit dar, die in der Bilanz zu passivieren ist. Sie mindert den Gewinn deshalb unabhängig vom Zeitpunkt der Entrichtung bereits mit der Entstehung. Für hinterzogene, also nicht angemeldete und nachzuentrichtende USt gilt nichts anderes. Auch sie ist bereits im Jahr der Entstehung abzuziehen und wirkt sich damit im jeweiligen Jahr der Verkürzung der Ertragssteuern unmittelbar aus. Denn die verkürzte und nachzuzahlende USt ergibt sich unmittelbar aus den verschwiegenen Betriebseinnahmen und hätte im Falle steuerehrlichen Verhaltens ohne Weiteres von Rechts wegen den Gewinn bilanziell gemindert. Dieser Vorteil darf dem Angeklagten nicht genommen werden; das Kompensationsverbot (§ 370 Abs. 4 S. 3 AO) steht dem nicht entgegen (st. Rspr.; vgl. BGH v. 1.6.21, 1 StR 127/21 PStR 2021, 275).
Demgegenüber mindert die (hinterzogene) Umsatzsteuer den Gewinn bei Option für die Einnahmeüberschussrechnung erst mit ihrem Abfluss, § 11 Abs. 2 EStG. Die Gewinnminderung folgt hier nicht „unmittelbar“ aus den verschwiegenen Betriebseinnahmen, maßgeblich ist hier vielmehr der (faktische) Abfluss.
- Kaligin, Zur Gewinnermittlung: IWW-Kongress „Praxis Steuerstrafrecht“ am 22.11.24 in Düsseldorf setzt Impulse, PStR 25, 39 ff.
- Wenzel/Sievert, Schätzung: Wann ist es gut mit dem Suchen der richtigen Schätzungsmethode?, PStR 24, 164 f.
- Wimmer, Steuerschätzung: Steuerstrafverfahren folgt Besteuerungsverfahren, PStR 24, 46 f.
AUSGABE: PStR 5/2025, S. 100 · ID: 50354969