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ProzessrechtWiedereinsetzung in den vorigen Stand im Buß- oder Strafverfahren – Antrag

Abo-Inhalt05.01.2022846 Min. LesedauerVon Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

| Nachdem wir in VA 21, 190 die allgemeinen Fragen zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantwortet und in VA 21, 208 die Rechtsprechung zum Verschulden vorgestellt haben, wollen wir Ihnen nachfolgend darstellen, worauf Sie bei einem Wiedereinsetzungsantrag achten müssen. |

Übersicht / Allgemeine Fragen zum Antrag bei der Wiedereinsetzung

Frage

Antwort

  • 1. Welche Vorschriften gelten für den Wiedereinsetzungsantrag?

Es gelten die §§ 45, 46 StPO und § 52 OWiG.

  • 2. Kommt es im Bußgeldverfahren darauf an, ob über den Wiedereinsetzungsantrag die Verwaltungsbehörde oder das Gericht entscheidet?

Nein. Die Anforderungen an den Antrag sind unabhängig davon, wer über den Antrag entscheidet.

  • 3. In welcher Form muss der Wiedereinsetzungsantrag gestellt werden?

Der Wiedereinsetzungsantrag wird schriftlich gestellt.

  • 4. Wo muss der Antrag gestellt werden?

Nach § 45 S. 1 StPO bzw. § 52 Abs. 1 OWiG muss der Wiedereinsetzungsantrag grundsätzlich dort gestellt werden, wo die (versäumte) Frist wahrzunehmen gewesen wäre. Das ist im Strafverfahren das zur Entscheidung berufene Gericht, im Bußgeldverfahren richtet sich die Zuständigkeit nach § 52 Abs. 1 und 2 OWiG (dazu Burhoff in: Burhoff [Hrsg.], Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl., 2021, Rn. 4264).

  • 5. Muss der Wiedereinsetzungsantrag ausdrücklich gestellt werden?

Nein, der Antrag muss nicht unbedingt ausdrücklich gestellt werden. Er kann auch stillschweigend in einem Schriftsatz enthalten sein. Dabei reicht es aus, dass in diesem Schriftsatz konkludent zum Ausdruck gebracht wird, das Verfahren trotz verspäteter Einreichung der Rechtsmitteleinlegungs- oder Rechtsmittelbegründungsschrift fortsetzen zu wollen (für das Zivilrecht BGH NJW-RR 19, 1394 im Anschluss an BGHZ 63, 389).

  • 6. Was ist hinsichtlich der versäumten Handlung zu beachten?

Gem. § 45 Abs. 2 S. 2 StPO bzw. § 52 Abs. 1 OWiG ist die versäumte Handlung innerhalb der Antragsfrist nachzuholen.

Praxistipp | Ist dafür eine besondere Form vorgesehen, muss diese eingehalten werden. Anderenfalls ist der Antrag unzulässig (vgl. u. a. BGH NStZ 89, 15 [M]; KG 7.4.21, 3 Ws (B) 80/21; OLG Brandenburg 9.1.09, 1 Ss (OWi) 228 B/08). D. h. also, dass die Einlegung eines ggf. versäumten Rechtsmittels nachgeholt werden muss. Das gilt auch, wenn es sich um die Wiedereinsetzung von Amts wegen aufgrund einer ausschließlich auf Fehlern der Justiz beruhender Unzulässigkeit eines Rechtsmittels handelt (OLG Braunschweig 26.2.16, 1 Ss 6/16, StRR 3/2016, 2 [Ls.]).

  • 7. Gibt es für die Stellung des Antrags eine Frist?

Ja, der Antrag muss nach § 45 Abs. 1 StPO bzw. § 52 OWiG binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses, das zur Versäumung der Frist geführt hat, gestellt werden.

  • 8. Wie berechnet sich die Wochenfrist?

Die Wochenfrist berechnet sich nach § 43 StPO. Zweifel an der Einhaltung der Frist gehen grds. zulasten des die Wiedereinsetzung Begehrenden (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl. 2021, § 45 Rn. 3 m. w. N.).

Praxistipp | Ist/war eine „qualifizierte Belehrung“ erforderlich, beginnt die Wochenfrist erst mit Erteilung dieser Belehrung (BVerfG NJW 13, 446). Entscheidend für den Fristbeginn ist der Zeitpunkt der Kenntnisnahme durch den Betroffenen (BGH StraFo 17, 66; NStZ-RR 19, 24).

  • 9. Welche Angaben muss der Wiedereinsetzungsantrag enthalten?

Der Antrag muss die Umstände darlegen, die zur unverschuldeten Fristversäumung geführt haben. Nach § 45 Abs. 2 S. 1 StPO bzw. § 52 Abs. 1 OWiG muss der Antrag – innerhalb der Wochenfrist – unter Behauptung von Tatsachen so vollständig begründet werden, dass ihm die unverschuldete Verhinderung des Antragstellers an der Fristversäumung entnommen werden kann (BGH NStZ-RR 10, 378; OLG Hamm 13.7.12, III 3 RBs 192/12). Zur ausreichenden Begründung gehören aber auch Angaben über den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses (Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 45 Rn. 5 m. w. N.; BGH NStZ 13, 474; NStZ-RR 19, 24; KG NZV 05, 656; OLG Düsseldorf StraFo 97, 77).

Praxistipp | Entscheidend ist die Kenntnis des Betroffenen. Die Angaben zu dem Zeitpunkt, in dem der Betroffene von dem Wegfall des Hindernisses, erfahren hat, müssen innerhalb der Wochenfrist gemacht werden, weil sie Voraussetzung für die Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrags sind. Später können bereits rechtzeitig vorgetragene Zulässigkeitsvoraussetzungen nur noch ergänzt und verdeutlicht werden (u. a. BGH NStZ-RR 16, 85 m. w. N.).

  • 10. Rechtsprechungsbeispiele (vgl. auch Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 9. Aufl., 2019, Rn. 4038):
  • Bei Geltendmachung einer unvorhersehbaren langen Postlaufzeit müssen die Umstände der Aufgabe der Sendung nach Zeit und Ort genau dargelegt werden (OLG Jena StraFo 97, 331),
  • zu den Anforderungen bei nur mündlicher Rechtsmittelbelehrung OLG Hamm VRS 101, 38,
  • zu den Anforderungen, wenn Wiedereinsetzung gegen eine versäumte Rechtsmittelfrist begehrt wird, vgl. u. a. BGH NStZ-RR 10, 378; 12.7.17, 1 StR 240/17),
  • wird die Versäumung der Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels durch einen beauftragten Verteidiger begehrt, gehört zum schlüssigen Wiedereinsetzungsvorbringen regelmäßig auch Vortrag dazu, dass der Betroffene seinen Verteidiger mit der Einlegung des Rechtsmittels beauftragt hatte (u. a. BGH NStZ-RR 98, 109; OLG Bamberg 24.10.17, 3 Ss OWi 1254/17) und regelmäßig auch Vortrag dazu, dass und wie der Verteidiger den Auftrag angenommen hat (OLG Köln VRS 126, 199),
  • wenn bei einem der deutschen Sprache nicht mächtigen Mandanten ein „sprachliches Missverständnis am Telefon“ behauptet wird, muss näher dargelegt werden, worin dieses Missverständnis bestand. Insbesondere ist mitzuteilen und glaubhaft zu machen, was der Verurteilte im Einzelnen mit seinem Verteidiger besprochen, was dieser wiederum verstanden hatte und wann und wie sich das „Missverständnis“ aufgeklärt hat (BGH 4.6.19, 3 StR 183/19),
  • soll die Unwirksamkeit der Zustellung einer Entscheidung geltend gemacht werden, müssen die Gründe vorgetragen (und glaubhaft) gemacht werden, die die Indizwirkung der Zustellung entfallen lassen (OLG Karlsruhe StRR 09, 65),
  • soll geltend gemacht werden, dass ein Ausländer die Rechtsmittelbelehrung nicht verstanden hat, muss vorgetragen werden, dass diese von einem Dolmetscher nicht übersetzt worden ist (OLG Oldenburg NStZ-RR 08, 150),
  • wird eine Erkrankung als Entschuldigung für die Versäumung der Hauptverhandlung geltend gemacht, ist deren Art anzugeben. Darzulegen ist auch der Umfang der von ihr ausgehenden körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen (OLG Braunschweig NStZ 14, 289; ähnlich KG JurBüro 15, 43), die bloße Mitteilung der Diagnose reicht nicht aus (KG, a. a. O.),
  • ist nach Aktenlage nicht offensichtlich, ob die Frist des § 45 Abs. 1 StPO gewahrt wurde, gehört zur formgerechten Anbringung des Wiedereinsetzungsantrags, dass der Antragsteller mitteilt, wann das Hindernis, das der Fristwahrung entgegenstand, weggefallen ist (BGH NStZ 13, 474 m. w. N.; StraFo 17, 66; NStZ-RR 16, 86),
  • bei Versäumung einer Frist müssen ggf. konkrete Umstände genannt werden, die trotz Vorliegens einer Zustellungsurkunde ein Abhandenkommen des eingelegten Schriftstücks möglich erscheinen lassen. Es genügt nicht, den Zugang lediglich zu bestreiten (OLG Hamm 29.10.09, 3 Ws 388/09).
  • 11. Müssen die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft gemacht werden?

Ja, und zwar gem. § 45 Abs. 2 S. 1 StPO bzw. § 52 Abs. 1 OWiG entweder bei der Antragstellung, spätestens jedoch im Verfahren über den Antrag, und zwar innerhalb der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 S. 1 StPO (BGH StraFo 19, 280 m. w. N.; zum „Grad“ der Glaubhaftmachung s. a. OLG Jena NStZ-RR 06, 345).

  • 12. Kann der Betroffene/Angeklagte eine eigene Erklärung oder eidesstattliche Versicherung abgeben?

Nein, das reicht zur Glaubhaftmachung nicht aus (BGH NStZ 17, 172; NStZ-RR 10, 378; für das Zivilverfahren NJW 15, 3519; s. auch BayVerfGH NJW 15, 3085 für den Nachweis der Fristwahrung bei Einwurf in einen Nachtbriefkasten).

  • 13. Reicht ggf. die Vorlage eines ärztlichen Attests?

Ja, das darf sich aber nicht nur ohne weitere Ausführungen in der Feststellung der Verhandlungsunfähigkeit erschöpfen (OLG Braunschweig NStZ 14, 289).

Praxistipp | Ein ärztliches Attest, das Art und Schwere der Erkrankung mitteilt, rechtfertigt in der Regel den Schluss, dass dem Betroffenen die Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht zumutbar war. Etwas anderes kann jedoch bei Erkrankungen gelten, deren Symptome typischerweise zeitlich eng begrenzt, häufig auch akut „von der einen auf die andere Minute“ auftreten. In so gelagerten Fällen muss in der Regel zusätzlich vorgetragen werden, zu welcher Uhrzeit der Betroffene den behandelnden Arzt aufgesucht hat (vgl. KG 18.11.19, 3 Ws 352/19 für die Berufungsverwerfung).

  • 14. Reicht die bloße Benennung eines Zeugen zur Glaubhaftmachung des Hinderniswegfalls aus?

Ja, aber nur, wenn gleichzeitig dargetan wird, dieser habe eine schriftliche Bestätigung verweigert, er sei nicht unverzüglich erreichbar oder es handele sich um einen für die Säumnis verantwortlichen Beamten (BGH, a. a. O.; zur Benennung eines Zeugen auch OLG Hamm 12.11.15, 3 Ws 379/15).

  • 15. Gibt es im Wiedereinsetzungsverfahren Rechtsmittel?

Ja, StPO/OWiG sehen Rechtsmittel vor. Insoweit gilt:

  • Die die Wiedereinsetzung bewilligenden Beschlüsse sind nach § 46 Abs. 2 StPO bzw. § 52 Abs. 1 OWiG unanfechtbar.
  • Wird der Wiedereinsetzungsantrag verworfen, kann im Strafverfahren nach § 46 Abs. 3 StPO sofortige Beschwerde eingelegt werden.
  • Wird im Bußgeldverfahren der Wiedereinsetzungsantrag von der Verwaltungsbehörde verworfen, ist nach § 52 Abs. 2 S. 3 OWiG der befristete Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 62 OWiG) zulässig. Die auf diesen Antrag ergehende Entscheidung ist unanfechtbar (§ 62 Abs. 2 S. 3 OWiG).
  • Wird im gerichtlichen Bußgeldverfahren der Wiedereinsetzungsantrag vom AG verworfen, ist nach § 46 Abs. 3 StPO, § 52 Abs. 1 OWiG die sofortige Beschwerde zum LG zulässig. Es entscheidet die Kammer für Bußgeldsachen beim AG.
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AUSGABE: VA 2/2022, S. 34 · ID: 47831121

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