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UpdatePflichtverteidigung in straßenverkehrsrechtlichen Mandaten – Teil 2: Bestellungsverfahren

Abo-Inhalt18.08.20227239 Min. LesedauerVon RA Detlef Burhoff, RiOLG a. D., Münster/Augsburg

| In VA 22, 144 haben wir über die Gründe für eine Pflichtverteidigerbestellung in Verkehrsstrafsachen und straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren berichtet. Wir stellen Ihnen nachfolgend vor, worauf Sie im Bestellungsverfahren achten müssen. |

Übersicht / Beiordnungsverfahren

1. Wo ist das Bestellungsverfahren geregelt?

Die Regelungen findet man für das Strafverfahren in § 142 StPO und für das Bußgeldverfahren in § 60 OWiG.

2. Wer ist für die Bestellung zuständig?

Hinsichtlich der Zuständigkeiten ist zu unterscheiden, je nachdem ob es um die Bestellung im Strafverfahren oder um die in einem Bußgeldverfahren geht.

3. Wer ist im Strafverfahren für die Bestellung zuständig?

Im Strafverfahren ist nach § 142 Abs. 1 und 3 StPO

  • vor Erhebung der Anklage das AG zuständig, in dessen Bezirk die Staatsanwaltschaft ihren Sitz hat,
  • nach Erhebung der Anklage ist der Vorsitzende des Gerichts zuständig, bei dem das Verfahren anhängig ist.

4. Wer ist im Bußgeldverfahren für die Bestellung zuständig?

Im Bußgeldverfahren gilt:

  • Im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde ist – auch nach den Änderungen im Recht der Pflichtverteidigung durch das „Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung“ vom 10.12.19“ (BGBl I, S. 2128) – nach § 60 Abs. 1 OWiG die Verwaltungsbehörde für die Bestellung zuständig.
  • Nach Vorlage der Akten nach § 69 Abs. 4 S. 2 OWiG ist im gerichtlichen Verfahren dann das AG für die Beiordnung zuständig.

5. Gilt die Bestellung durch die Verwaltungsbehörde auch für das nachfolgende gerichtliche Verfahren?

Nein, insoweit reicht die Bestellung nicht (OLG Saarbrücken NJW 07, 309). Es gilt nicht etwa § 143 Abs. 1 StPO (Göhler/Seitz/Bauer, OWiG, 18. Aufl. 2021, § 60 Rn. 35).

Praxistipp | Der Verteidiger muss also ggf. im gerichtlichen Verfahren erneut seine Bestellung beantragen. Das gilt vor allem auch im Hinblick auf seine Gebühren für die Tätigkeiten im gerichtlichen Verfahren. Ggf. ist er aber konkludent bestellt worden (vgl. dazu OLG Saarbrücken, a. a. O.; zur konkludenten Bestellung Burhoff/Hillenbrand, EV. Rn. 3650 ff. m. w. N.).

6. Gilt die Bestellung eines Pflichtverteidigers im gerichtlichen Verfahren auch für das Rechtsmittelverfahren?

Ja, in dem Fall greift sowohl im Straf- als auch im Bußgeldverfahren § 143 Abs. 1 StPO (i. V. m. § 46 OWiG) ein (zum alten Recht für das Rechtsbeschwerdeverfahren OLG Saarbrücken NJW 07, 309 = VRS 112, 54; KK-OWiG/Kurz, 5. Aufl. 2018, § 60 Rn. 39).

7. Nach welchen Vorschriften richtet sich das Verfahren der Beiordnung?

Für das Verfahren gelten grundsätzlich die allgemeinen Regeln für das Verfahren der Beiordnung eines Pflichtverteidigers nach §§ 142 ff. StPO, die im Bußgeldverfahren über § 46 OWiG Anwendung finden (allgemein Göhler/Seitz/Bauer, Rn. § 60 Rn. 30 f. m. w. N.; Burhoff/Hillenbrand, EV, Rn. 3637 ff.).

8. Muss der Beschuldigte/Betroffene einen Antrag stellen?

Die Beiordnung erfolgt in der Regel sowohl im Strafverfahren gemäß § 141 Abs. 1 S. 1 StPO als auch im Bußgeldverfahren auf Antrag des Beschuldigten/Betroffenen, wenn der Betroffene die Bestellung nach Belehrung ausdrücklich beantragt, ihm der Tatvorwurf eröffnet worden ist und er noch keinen Verteidiger hat. In Betracht kommt aber ggf. auch eine Bestellung von Amts wegen.

9. Wie ist mit dem Antrag umzugehen?

Ein (im gerichtlichen Verfahren gestellter) Antrag des Beschuldigten oder des Betroffenen muss nach § 142 Abs. 1 S. 1 StPO unverzüglich dem Gericht zur Entscheidung vorgelegt werden. Unverzüglich i. S. d. § 142 Abs. 1 StPO bedeutet, dass die Pflichtverteidigerbestellung zwar nicht sofort, aber doch so rechtzeitig erfolgen muss, dass Verteidigungsrechte gewahrt werden. Grundsätzlich ist hierunter eine Prüfungs- und Überlegungsfrist von einer, maximal zwei Wochen zu verstehen (LG Bochum NStZ-RR 20, 352; vgl. LG Hamburg 11.4.22, 612 Qs 6/22). Die Weiterleitung eines Antrags auf Beiordnung drei Wochen nach Antragstellung – ist auch unter Berücksichtigung einer Prüfungs- und Überlegungsfrist – nicht mehr „unverzüglich“ (LG Halle 15.4.21, 3 Qs 41/21).

10. Kann der Betroffene/Beschuldigte einen Rechtsanwalt bezeichnen, den er als Pflichtverteidiger bestellt haben möchte?

Ja, nach § 142 Abs. 5 S. 1 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG soll dem Betroffenen vor der Bestellung Gelegenheit gegeben werden, innerhalb einer vom Beiordnenden zu bestimmenden Frist einen Rechtsanwalt zu bezeichnen, dessen Bestellung als Pflichtverteidiger gewünscht wird.

11. Muss sich die Verwaltungsbehörde oder das Gericht nach dem Vorschlag des Betroffenen (vgl. Ziffer 10) richten?

Der Beiordnende hat grundsätzlich dem Vorschlag des Betroffenen/Beschuldigten zu entsprechen, soweit nicht wichtige Gründe entgegenstehen (§ 142 Abs. 5 S. 3 StPO i. V. m. § 46 OWiG; dazu eingehend Burhoff/Hillenbrand, EV, Rn. 3313 ff. m. w. N. aus der Rechtsprechung).

Praxistipp | Nach der überwiegenden Meinung in der Rechtsprechung der OLG hat der Betroffene auch im Bußgeldverfahren Anspruch auf den Verteidiger des Vertrauens (u. a. KG NZV 03, 433; OLG Braunschweig VA 09, 108; OLG Hamm VA 15, 159; OLG Karlsruhe NZV 06, 217).

12. Welche Gründe können einer Bestellung entgegenstehen?

Der Bestellung entgegenstehen können die Überlastung des benannten Rechtsanwalts (§ 142 Abs. 5 S. 3 Hs. 2 StPO i. V. m. § 46 OWiG), das Verbot der Mehrfachverteidigung nach § 146 StPO, das auch im Bußgeldverfahren gilt (dazu Burhoff/Burhoff, EV, Rn. 4933 ff.), ein konkreter Interessenkonflikt oder ggf. das Fehlen von Spezialkenntnissen.

13. Kann der Bestellung ggf. entgegenstehen, dass der benannte Rechtsanwalt „nicht ortsansässig“ ist?

Nein, in der Regel nicht. Diese Beschränkung war früher in § 142 StPO a. F. enthalten. Sie ist aber durch das 2. ORRG aufgegeben worden (dazu Burhoff/Hillenbrand, EV, Rn. 3319 ff.). Daran hat sich durch die Neuregelung zum 13.12.19 nichts geändert. Die Regelung in § 142 Abs. 5 S. 2 StPO ist weitgehend wortgleich mit § 142 Abs. 1 StPO a. F.

Praxistipp | Insbesondere im Bußgeldverfahren sollte der Betroffene begründen (vgl. Ziffer 15), warum ihm ein nicht ortsansässiger Rechtsanwalt bestellt werden soll (Burhoff/Burhoff, OWi, Rn. 2995).

14. Wer wählt den Pflichtverteidiger aus, wenn der Betroffene/Beschuldigte keinen Rechtsanwalt benennt?

In der Regel wählt dann die Verwaltungsbehörde (nach pflichtgemäßem Ermessen) oder das Gericht den Pflichtverteidiger aus. Es muss dem Betroffenen/ Beschuldigten aber Gelegenheit zur Benennung eines Rechtsanwalts gegeben werden.

15. Muss der Betroffene/Beschuldigte seinen Antrag begründen?

In der StPO ist keine Begründungspflicht vorgesehen. Der Betroffene/Beschuldigte bzw. der Verteidiger sollte einen Antrag aber auf jeden Fall begründen. Das gilt insbesondere für das OWi-Verfahren wegen der dort im Zweifel nur ausnahmsweise erfolgenden Bestellung eines Pflichtverteidigers (zum Muster eines Antrags Burhoff/Burhoff, OWi, Rn. 2998).

16. Wie erfolgt die Bestellung?

Die Beiordnung erfolgt durch Verfügung oder durch Beschluss des Gerichts. Sie kann aber auch konkludent durch Inanspruchnahme des Verteidigers erfolgen (OLG Saarbrücken NJW 07, 309 = VRS 112, 54; zuletzt OLG Köln 28.3.22, 2 Ws 102/22).

17. Wann ist über den Antrag des Betroffenen/Beschuldigten zu entscheiden?

Über den Antrag muss zeitnah entschieden werden. Der Betroffene/Beschuldigte darf darauf vertrauen, dass sein Bestellungsantrag so rechtzeitig beschieden wird, dass er ggf. noch innerhalb einer Rechtsmittelbegründungsfrist entweder selbst einen Verteidiger beauftragen oder das Rechtsmittel zu Protokoll der Geschäftsstelle begründen kann (KG 16.9.18, 3 Ws (B) 233/18, VRS 134, 87).

18. Kommt ggf. eine rückwirkende Bestellung des Rechtsanwalts in Betracht, z. B. nach Einstellung des Verfahrens?

Die Frage ist nach wie vor in der Rechtsprechung höchst umstritten. Die überwiegende Meinung der OLG und ein Teil der landgerichtlichen Rechtsprechung lehnt die Zulässigkeit einer rückwirkenden Bestellung nach wie vor ab, während die überwiegende Anzahl der LG, das OLG Bamberg und das OLG Nürnberg eine rückwirkende Bestellung für zulässig erachten.

Praxistipp | Voraussetzung für eine rückwirkende Bestellung ist aber auf jeden Fall, dass der Antrag auf gerichtliche Beiordnung vor Verfahrensabschluss gestellt wurde, die Voraussetzungen des § 140 StPO vorgelegen haben und der Antrag aus von der Justiz zu vertretenden Gründen nicht rechtzeitig vor Verfahrensschluss beschieden worden ist.

19. Wie sind die Rechtsmittel in Zusammenhang mit Pflichtverteidigungsfragen geregelt?

Für Rechtsmittel gegen einen die Bestellung ablehnenden Beschluss gelten die allgemeinen Regeln (zu Einzelheiten Burhoff/Hillenbrand, EV, Rn. 3593 ff. m. w. N.). Danach hat der Rechtsanwalt selbst kein eigenes Rechtsmittelrecht, wenn die Bestellung abgelehnt wird (vgl. u.a. OLG Koblenz wistra 86, 118). Dieses steht vielmehr nur dem Betroffenen zu (dazu OLG Karlsruhe NJW 78, 1064).

Praxistipp | Darauf muss bei der Einlegung und Formulierung des Rechtsmittels geachtet werden (dazu das Muster bei Burhoff/Burhoff, OWi, Rn. 3000).

20. Welches Rechtsmittel ist gegen die Ablehnung der Bestellung durch die Bußgeldbehörde gegeben?

Der Betroffene/Verteidiger muss einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellen (§ 62 OWiG). Der ist grundsätzlich unbefristet. Gegen die gerichtliche Entscheidung ist dann nach § 62 Abs. 2 S. 2 OWiG kein weiteres Rechtsmittel mehr gegeben (zum Antrag auf gerichtliche Entscheidung Burhoff/Krenberger, OWiG, Rn. 367 ff. mit weiteren Nachweisen).

21. Welches Rechtsmittel ist gegen die Ablehnung der Bestellung im gerichtlichen Verfahren gegeben?

Insoweit hat das „Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung“ vom 10.12.19 (BGBl I, S. 2128) eine wesentliche Änderung gebracht. Entgegen dem früheren Recht – „einfache“ Beschwerde nach § 304 StPO – ist nun nach § 142 Abs. 7 S. 2 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG in allen Fällen die sofortige Beschwerde nach § 311 StPO einzulegen.

Praxistipp | Es gilt also die Wochenfrist des § 310 Abs. 2 S. 1 StPO. Das gilt auch für Entscheidungen des erkennenden Gerichts. Der insoweit zum alten Recht bestehende Streit (vgl. nur OLG Düsseldorf StV 01, 586) hat sich erledigt.

22. Kann das Fehlen eines Pflichtverteidigers mit der Rechtsbeschwerde/Revision geltend gemacht werden?

Das kann aufgrund der Einführung der sofortigen Beschwerde in § 142 Abs. 7 StPO mit der Verfahrensrüge als Verstoß gegen § 338 Nr. 5 StPO nur noch gerügt werden, wenn das Gericht eine von Amts wegen gebotene Beiordnung unterlassen hat oder ein Antrag auf Beiordnung nicht beschieden worden ist. Das folgt aus § 336 S. 2 StPO, wonach das Rechtsbeschwerde-/Revisionsgericht keine Entscheidungen überprüft, die mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar sind.

Praxistipp | Die Rechtsbeschwerde/Revision unterliegt den strengen Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 OWiG.

Will der Verteidiger die Rüge nach § 338 Nr. 5 StPO erheben, muss er darauf achten, dass er in der Hauptverhandlung nicht bzw. zumindest zeitweise nicht anwesend gewesen sein darf. Nimmt er als Wahlanwalt an der Hauptverhandlung teil, ist der Mandant verteidigt. Dann liegen die Voraussetzungen des § 338 Nr. 5 StPO nicht vor. Das bedeutet, dass der Verteidiger ggf. die Hauptverhandlung (zeitweise) verlassen muss, wenn sein Beiordnungsantrag abgelehnt worden ist (vgl. die Fallgestaltung bei OLG Bremen VA 09, 175).

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AUSGABE: VA 9/2022, S. 166 · ID: 48476709

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