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Apr. 2023

StrafrechtDie Rechtsprechung in Verkehrs-OWi-Sachen zum materiellen Recht in 2022

Abo-Inhalt17.03.20232292 Min. LesedauerVon RA Detlef Burhoff, RiOLG a. D., Leer/Augsburg

| Der Beitrag stellt Ihnen im Anschluss an VA 22, 92 die wichtigsten Entscheidungen aus dem Jahr 2022 aus dem Bereich der Verkehrsordnungswidrigkeiten vor. Erfasst sind hier zunächst nur die Entscheidungen zum materiellen Recht und zu den Rechtsfolgen. Ausgenommen sind Entscheidungen zur Verhängung eines Fahrverbots. Darüber haben wir zuletzt in VA 22, 183 berichten. Auch über die Rechtsprechung zum Verfahrensrecht werden wir gesondert berichten. |

Rechtsprechungsübersicht / Verkehrsstrafrechtliche Entscheidungen 2022

Drogenfahrt

Um dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung der Frage zu ermöglichen, ob die sog. Medikamentenklausel nach § 24a Abs. 2 S. 3 StVG eingreift oder nicht, ist der Inhalt des hierfür maßgeblichen Cannabinoid-Ausweises – sofern keine zulässige Bezugnahme erfolgt – im Wortlaut in den Urteilsgründen wiederzugeben. Der Konsum von illegalen Drogen neben Medizinalcannabis lässt die Anwendung der Medikamentenklausel grds. nicht entfallen. Ein ordnungswidriges Verhalten des Betroffenen liegt aber dann vor, wenn nachzuweisen ist, dass auch ohne die Einnahme der verordneten Menge des Medikaments der analytische Grenzwert überschritten worden wäre (OLG Koblenz 13.4.22, 3 OWi 31 SsBs 49/22, Abruf-Nr. 229133).

Geldbuße, Allgemeines

Die Regelgeldbuße kann nicht allein deshalb erhöht werden, weil der Verkehrsverstoß mit einem SUV begangen wurde (OLG Frankfurt a. M. VA 23, 47; a. A. AG Frankfurt a. M. VA 22, 160).

Geldbuße, wirtschaftliche Verhältnisse

Macht der von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbundene Betroffene zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen keine Angaben, können weitere Ermittlungen des Tatgerichts auch dann entbehrlich sein, wenn beabsichtigt ist, ein die Regelbuße überschreitendes Bußgeld oberhalb von 250 EUR zu verhängen (OLG Köln VA 22, 179).

Geschwindigkeitsüberschreitung, Messverfahren

Die Grundsätze zum sog. standardisierten Messverfahren gelten nur, wenn das verwendete Messgerät von seinem Bedienungspersonal auch wirklich standardgemäß, d. h. im geeichten Zustand, seiner Bauartzulassung entsprechend und gemäß der vom Hersteller mitgegebenen Bedienungs- bzw. Gebrauchsanweisung verwendet wurde (OLG Karlsruhe VA 22, 141). Die mit dem Pro Vida 2000 Modular im Messmodus „MAN“ nachträglich durchgeführte Messung ist kein standardisiertes Messverfahren (AG Castrop-Rauxel VA 22, 197). Nach erfolgter Eichung eines Messgeräts muss im Messprotokoll die Metrologie-Kennzeichnung nicht mehr angegeben werden; Klarstellung zu PTB-Anforderungen 12.10 (November 2019), S. 24. (OLG Oldenburg VA 22, 214). In einem umfangreich begründeten Beschluss hat das AG Schleiden zur Verwertbarkeit einer mit dem Messverfahren ESO ES 8.0 durchgeführten Geschwindigkeitsmessung Stellung genommen. Das AG hat die Verwertbarkeit verneint und den Betroffenen freigesprochen (AG Schleiden 2.9.22, 13 OWi 179/22; a. A. OLG Köln 16.12.22, 1 RBs 371/22, Abruf-Nr. 233168; zur Rekonstruierbarkeit des Messverfahrens OLG Düsseldorf 31.10.22, 2 RBs 155/22, Abruf-Nr. 232797).

Bei der Geschwindigkeitsermittlung durch Nachfahren mit ungeeichtem Tacho kann ein zu geringer Abstand durch eine die Mindestanforderungen weit übertreffende Länge der Messstrecke und durch einen großzügigen Toleranzabzug kompensiert werden. Geschwindigkeitsüberschreitungen auf der Bundesautobahn im Berliner Stadtgebiet sind als innerörtliche Verstöße zu behandeln (KG VA 22, 105).

Bei einer Messung mit dem nicht dokumentierenden Laserhandmessgerät Riegl FG 21-P muss dem Betroffenen nicht ermöglicht werden, das Messergebnis am Tatort durch Einsichtnahme in das Display zu überprüfen (OLG Düsseldorf VA 22, 122).

Zur Nachtzeit und ohne Umgebungsbeleuchtung kann ohne weitere Beleuchtungsquellen, die die Konturen eines Fahrzeugs aufhellen, anerkanntermaßen nicht davon ausgegangen werden, dass Fahrzeugkonturen eines gemessenen 100 m entfernten Fahrzeugs erkennbar sind. Die bloße Erkennbarkeit von Rücklichtern reicht nicht aus, um zuverlässig eine Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren zur Nachtzeit durchführen zu können (AG Dortmund 22.11.22, 729 OWi-265 Js 1807/22-117/22, Abruf-Nr. 233160).

Geschwindigkeitsüberschreitung, Vorsatz

Der Umstand, dass dem Betroffenen der Umfang einer Geschwindigkeitsüberschreitung möglicherweise nicht exakt bekannt ist, steht der Annahme von Vorsatz nicht entgegen. Vorsätzliches Handeln setzt eine solche Kenntnis nicht voraus. Es genügt das Wissen, schneller als erlaubt zu fahren (OLG Hamm VA 22, 105). Geht es um eine im absoluten Maß vergleichsweise niedrige Geschwindigkeitsüberschreitung – hier von 22 km/h – ist nicht ohne Weiteres und stets anzunehmen, der Fahrer habe die Übertretung anhand der äußeren Kriterien (Motorengeräusche, sonstige Fahrgeräusche, Fahrzeugvibration und Schnelligkeit der Änderung in der Umgebung) zwanglos erkannt (OLG Zweibrücken 11.7.22, 1 OWi 2 SsBs 39/22, Abruf-Nr. 230592). Die Annahme vorsätzlichen Handelns kann auch bei einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von weniger als 40 km/h im außerörtlichen Bereich in Betracht kommen. Dann müssen aber weitere Begleitindizien festgestellt werden, wie etwa Fahrmanöver, die mit einer Beschleunigung verbunden sind, oder eine sonst tragfähige Begründung (OLG Koblenz zfs 22, 712).

Die Annahme von Vorsatz ist bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung auch auf einer dreispurigen Autobahn möglich. Das gilt jedenfalls, wenn die Beschilderung (120 km/h, Gefahrzeichen Bodenwellen und 80 km/h) mehrfach beidseitig wiederholt wird und eine Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 40 % vorliegt (AG Castrop-Rauxel VA 22, 197; zur Frage des Vorsatzes bei einer Zusatzbeschilderung („Straßenschäden“) ohne Entfernungsangabe OLG Brandenburg 17.11.22, 2 OLG 53 Ss-OWi 388/22, Abruf-Nr. 233165). Angesichts eines massiven Ausmaßes einer Geschwindigkeitsüberschreitung um 52 km/h drängt sich die Annahme vorsätzlicher Begehung geradezu auf (OLG Brandenburg, 27.9.22, 1 OLG 53 Ss-OWi 397/22, Abruf-Nr. 232185). Räumt der Betroffene zwar ein, das die Geschwindigkeit beschränkende Schild wahrgenommen zu haben, kann von ihm aber nicht gefordert werden, dass er sich entlasten müsse. Dies würde gegen das Recht verstoßen, sich nicht zur Sache einlassen zu müssen (OLG Naumburg zfs 22, 713 m. abl. Anm. Krenberger).

Halterhaftung (§ 25a StVG)

Die Kostentragungspflicht des § 25a Abs. 1 StVG gilt auch im Falle des Fehlens einer Umweltplakette an einem geparkten Fahrzeug (AG Marburg VA 22, 140). Liegen zwischen einem vorgeworfenen Parkverstoß und dem Ausdrucken und dem sich daran anschließenden Versenden des Verwarnangebots fünf Wochen, kann nicht mehr von einer umgehenden und rechtzeitigen Übersendung des Verwarnangebots ausgegangen werden (AG Herne VA 22, 215).

Halterverantwortung für den Betrieb eines Lkw

Für den Halter von Kraftfahrzeugen sieht § 31 Abs. 2 StVZO eine besondere Prüfpflicht vor der Inbetriebnahme vor. Zum Umfang der Prüfpflicht bei Betreibern von Fuhrparks hat das OLG Zweibrücken Stellung genommen (OLG Zweibrücken zfs 22, 654; AG Landstuhl 15.3.22, 2 OWi 4211 Js 1018/22, Abruf-Nr. 228726).

Rettungsgasse

Nach § 11 Abs. 2 StVO ist eine Rettungsgasse zu bilden „sobald Fahrzeuge ... mit Schrittgeschwindigkeit fahren oder sich die Fahrzeuge im Stillstand befinden.“ Der Verkehrsteilnehmer hat keine Überlegungsfrist (OLG Oldenburg VA 22, 218).

Rotlichtverstoß, Allgemeines

Geht das Fahren über die Haltelinie bei grünem Licht und das Einfahren in den Kreuzungsbereich nicht nahtlos ineinander über, weil es zwischen beiden Verkehrsvorgängen zu einem verkehrsbedingten Halt (z. B. infolge eines Fahrzeugstaus) vor der Lichtzeichenanlage kommt, darf der Kraftfahrzeugführer nicht in den geschützten Bereich einfahren, wenn er diesen erst nach Rotlichtbeginn erreicht (KG VA 22, 87).

Wer nach dem Überqueren der Haltelinie der Linksabbiegerspur an einer Rotlichtanlage bei Rot auf eine der Geradeausspuren wechselt und die Kreuzung dann geradeaus verlässt, begeht einen Rotlichtverstoß (OLG Brandenburg VA 22, 124).

Ein Fahrzeugführer, der auf einer Rechtsabbiegerspur bei Rotlicht (schwarzer Pfeil nach rechts) in den Kreuzungs- bzw. Einmündungsbereich einfährt, begeht auch dann einen Rotlichtverstoß, wenn er nicht nach rechts abbiegen will, sondern die Rechtsabbiegerspur nur zum Überholen eines auf der Geradeausspur, für die der Verkehr freigegeben ist, fahrenden Fahrzeugs benutzt und anschließend geradeaus weiterfährt (BayObLG hat seiner Entscheidung folgende Leitsätze gegeben (BayObLG VA 22, 181).

Rotlichtverstoß, Urteilsgründe

Für einen (einfachen) innerörtlichen Rotlichtverstoß – wie hier das Überfahren einer roten Ampel an einer Kreuzung – muss objektiv festgestellt werden, dass die Betroffene bei einer schon länger als eine Sekunde andauernden Rotphase das Wechsellichtzeichen nicht befolgt hat (OLG Koblenz zfs 22, 409).

In einem tatrichterlichen Urteil betreffend einen qualifizierten Rotlichtverstoß muss der Tatrichter den Verkehrsbereich näher erläutern, einschließlich der Angabe, welchen Verkehrsbereich die Lichtzeichenanlage geschützt hat und ob der Betroffene in diesen eingefahren ist. Ein bloßes Überfahren der Haltelinie genügt. Demgegenüber kommt es für die Bestimmung der Rotlichtzeit auf den Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie an (OLG Karlsruhe VA 22, 87).

Täteridentifizierung, Urteilsgründe

Im Fall der Identifizierung anhand eines Lichtbilds müssen die tatrichterlichen Urteilsgründe so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Belegfoto geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen (KG VA 22, 105).

Trunkenheitsfahrt (§ 24a StVG)

Bei einer Messung der Atemalkoholkonzentration mit einem Gerät des Typs Dräger Alcotest 9510 DE handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren (KG VA 22, 160; OLG Dresden zfs 22, 712 mit Ausführungen zum Umfang der Feststellungen).

Beim Atemalkoholmessgerät Dräger Alcotest 9510 DE ist der ermittelte Mittelwert der Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 24a Abs. 1 StVG ohne Sicherheitsabschlag zugrunde zu legen. Die festgestellten Einzelmessergebnisse müssen in der Regel nicht mitgeteilt werden (KG 14.10.22, 3 Ws (B) 253/22, Abruf-Nr. 232189).

Urteilsgründe

Bei den in ein Messfoto eingeblendeten Messdaten handelt es sich nicht um Abbildungen, die durch Inaugenscheinnahme zum Inbegriff der Hauptverhandlung gemäß § 261 StPO gemacht werden könnten. Vielmehr geht es bei deren Verwertung um den Inhalt einer textlichen Darstellung, die allein dem Urkundenbeweis nach § 249 StPO zugänglich ist (BayObLG VA 22, 89).

Verhüllungsverbot

Das Verhüllungsverbot des § 23 Abs. 4 S. 1 StVO ist mit dem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 u. 2 GG vereinbar. Es ist auch von einer Muslima, die aus religiösen Gründen einen Niqab trägt, zu beachten (OLG Düsseldorf VA 22, 201).

Verkehrszeichen, Regelungsbereich

Ein rechts von der Fahrbahn auf der BAB aufgestelltes Verkehrszeichen 274, durch das die zulässige Höchstgeschwindigkeit begrenzt wurde, erfasst im Sinne einer quer zur gesamten Fahrbahn verlaufenden Linie sämtliche Fahrstreifen (OLG Düsseldorf VA 22, 123).

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AUSGABE: VA 4/2023, S. 70 · ID: 49038487

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