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VerwertungsverbotVon StA nicht durchgesehene Festplatte ist steuerlich unverwertbar

Top-BeitragLeseprobe07.07.20256 Min. LesedauerVon RD David Roth, LL.M. oec., Köln

| Die Auswertung einer Festplatte unterliegt im Steuerverfahren einem qualifizierten Verwertungsverbot nebst Fernwirkung, wenn diese im Rahmen eines gegen einen Dritten wegen einer Nichtsteuerstraftat durchgeführten Ermittlungsverfahrens sichergestellt und dem Außenprüfer von der StA ohne vorherige Durchsicht nach § 110 StPO zur vollständigen Auswertung überlassen worden ist. |

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Sachverhalt

Im Steuerverfahren stritten FA und Steuerpflichtiger über den Ort der Geschäftsleitung einer Ltd. zypriotischen Rechts. Das FA war der Ansicht, dass die Ltd.-Geschäftsleitung faktisch von Deutschland ausgeübt worden ist und die Ltd. daher in der BRD unbeschränkt steuerpflichtig war. Im Rahmen einer Außenprüfung wertete der Außenprüfer nach entsprechendem Amtshilfeersuchen Unterlagen und Daten aus, die ihm von der StA zur Verfügung gestellt worden waren. Hintergrund war ein Strafverfahren gegen die (mittelbaren) Anteilseigner der Ltd. wegen Verstöße gegen das Wertpapierhandelsgesetz. Die Staatsanwaltschaft (StA) übermittelte u. a. eine Festplatte (Original-Asservat), die bei einer Durchsuchung gesichert worden war und auf der u. a. E-Mail-Verkehr der Anteilseigner abgespeichert war. Dieser E-Mail-Verkehr belegte, dass das Tagesgeschäft der Ltd. von Deutschland aus geleitet worden war und diese einer unbeschränkten KSt- und GewSt-Pflicht unterlag. Die dagegen erhobene Klage blieb vor dem FG erfolglos. Die eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde war vor dem BFH erfolgreich.

Entscheidungsgründe

Der BFH rügt, dass im Rahmen der Beweiswürdigung Daten der vom Außenprüfer ausgewerteten Festplatte berücksichtigt worden sind, die einem steuerlichen Verwertungsverbot unterliegen (23.4.25, I B 51/22, Abruf-Nr. 248016).

Gem. § 393 Abs. 3 S. 1 AO dürfen Erkenntnisse, die die Finanzbehörde oder die StA rechtmäßig im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen gewonnen hat, im Besteuerungsverfahren verwendet werden. Dies gilt auch für Erkenntnisse, die in Verfahren wegen Nichtsteuerstraftaten erlangt worden sind, und umfasst auch sog. Zufallsfunde und bekannt gewordene Vorgänge gegen andere Steuerpflichtige. Hier war die Festplatte durch die StA aufgrund des Durchsuchungsbeschlusses auch rechtmäßig sichergestellt worden.

Der Auswertung der Festplatte für Zwecke des Besteuerungsverfahrens stand im Streitfall jedoch entgegen, dass die StA vor der Übersendung an den Außenprüfer keine Durchsicht nach § 110 StPO vorgenommen und die für die strafrechtliche Ermittlung nicht relevanten Daten nicht von der Übermittlung ausgenommen hatte. Der dadurch bewirkte unverhältnismäßige Eingriff in das Grundrecht (der mittelbaren Anteilseigner) auf informationelle Selbstbestimmung ist nicht mehr von § 393 Abs. 3 S. 1 AO gedeckt.

Im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsabwägung ist darauf abzustellen, dass die Delikte nach dem Wertpapierhandelsgesetz hier keinen erkennbaren inhaltlichen Bezug zur Ertragsbesteuerung der Ltd. gehabt haben. Es ist daher zu erwarten gewesen, dass die für die Zwecke der Ertragsbesteuerung relevanten Daten zu denjenigen Daten gehört haben, die im Rahmen einer Durchsicht nach § 110 StPO strafprozessual zu löschen gewesen wären.

Überdies ist der Außenprüfer kein Steuerfahnder und daher nicht befugt, eine Durchsuchung vorzunehmen oder Unterlagen oder Speichermedien zu beschlagnahmen. Zudem befand sich die sichergestellte Festplatte zum Zeitpunkt der Übersendung bereits rd. 2 ¾ Jahre im Besitz der StA, ohne dass diese in angemessener Zeit eine Durchsicht vorgenommen hatte.

Im Besteuerungsverfahren besteht zwar kein allgemeines Verwertungsverbot für Erkenntnisse, die verfahrensfehlerhaft erlangt wurden. Jedoch gebietet die gravierende Verletzung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung hier, ein qualifiziert materiell-rechtliches Verwertungsverbot im Besteuerungsverfahren anzunehmen. Das FG durfte die auf der Festplatte gespeicherten Daten daher nicht berücksichtigen. Dies gilt auch für den zweiten Rechtsgang.

Darüber hinaus ist bei diesem qualifizierten, grundrechtsrelevanten Verfahrensverstoß das Verwertungsverbot ausnahmsweise auf Tatsachen oder Beweismittel zu erstrecken, die ohne die rechtswidrig ermittelte Tatsache oder ohne das rechtswidrig erlangte Beweismittel mutmaßlich nicht aufgeklärt worden wären (Fernwirkung). Insofern sind auch weitere aus der Festplatte abzuleitende Beweismittel steuerrechtlich gesperrt.

Abschließend ist auf die aus § 90 Abs. 2 AO folgende besondere Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen bei der Aufklärung von Auslandssachverhalten zu verweisen.

Relevanz für die Praxis

Die Entscheidung ist sehr bedeutsam, da der BFH letztlich alle noch nicht einer Durchsicht bei der StA unterzogenen Papiere betreffend Nichtsteuerstraftaten als im Besteuerungsverfahren unverwertbar ansieht und dies im Wege der Fernwirkung auf daraus ableitbare Ermittlungsansätze erstreckt.

Das weitreichende Ergebnis des BFH (gänzlich anders das FG) verwundert, da der Senat grundsätzlich von einer rechtmäßigen Durchsuchung und Sicherstellung der Festplatte ausgeht. Damit ist der Wortlaut der steuerlichen Verwendungsbefugnis des § 393 Abs. 3 S. 1 AO eigentlich erfüllt. Mit dem Begriff „Erkenntnisse“ ist diese Verwendungsbefugnis zudem weit gefasst (enger § 393 Abs. 2 AO: „Tatsachen und Beweismittel“). Letztlich fehlt dem BFH damit ein konkreter Anknüpfungspunkt eines rechtswidrigen Verhaltens der (Ermittlungs-)Behörden, um daraus ein qualifiziert materiell-rechtliches Verwertungsverbot herzuleiten, womit der Senat auf allgemein gehaltene Grundrechtsverletzungen und Verhältnismäßigkeitserwägungen ausweichen muss. Ob der Senat aus der 2 ¾ Jahre dauernden Sicherstellung ableitet, dass die strafprozessualen Maßnahmen rechtswidrig sind, bleibt offen, da dieser Aspekt nur bei der Verhältnismäßigkeit (und nicht bei der Frage der „rechtmäßig“ erlangten Erkenntnisse) thematisiert wird. Letztlich ist § 393 Abs. 3 S. 1 AO in den vorliegenden Konstellationen daher laut BFH verfassungswidrig.

Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung reicht dem BFH der Hinweis auf eine allgemeine Grundrechtsverletzung der informationellen Selbstbestimmung der (mittelbaren) Anteilseigner als Dritte aus, ohne konkret zu berücksichtigen, ob der Kernbereich oder nur der „Randbereich“ der Grundrechtsgewährleistung betroffen ist. Da es um geschäftlich geprägten E-Mail-Verkehr ging und nicht um höchstpersönliche Aufzeichnungen, erscheint ein umfassendes Verwertungsverbot nebst Fernwirkung hier nicht zwingend, zumal nicht jeder Verfahrensverstoß automatisch ein Verwertungsverbot auslöst. Die Einschätzung des BFH widerspricht zudem der strafrechtlichen Rechtsprechung, die aus Verstößen gegen § 110 StPO regelmäßig kein Beweisverwertungsverbot ableitet (LG Magdeburg, 2.6.98, 25 Qs 11/98, StraFo 98, 271; so auch Tsambikakis in Löwe-Rosenberg, StPO, 28. Aufl., § 110 Rn 32). Auch das BVerfG sieht nur „bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, in denen die Beschränkung auf den Ermittlungszweck der Datenträgerbeschlagnahme planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen wird, ein Beweisverwertungsverbot“ als geboten an (12.4.05, 2 BvR 1027/02, BVerfGE 113, 29).

Der BFH berücksichtigt zudem nicht, dass die §§ 385, 386, 387, 399, 402 AO auch dem Außenprüfer als Beamtem der Finanzbehörde das Recht und die Pflicht einräumen, Ermittlungshandlungen bei Steuerstraftaten vorzunehmen und er – wie StraBust/Steufa – eine Garantenstellung hat, an der Strafverfolgung von Steuerstraftaten mitzuwirken (LG Stuttgart, 24.3.20, 61 Ns 142 Js 114222/16, NStZ 21, 544).

Merke | Zwar besteht in Strafprozessen regelmäßig kein Verwertungsverbot, in (weniger einschneidenderen) Besteuerungsverfahren soll jedoch ein umfassendes materiell-rechtliches Verwendungsverbot mit Fernwirkung (trotz ausdrücklicher gesetzlicher Verwendungsbefugnis) gelten.

Interessant ist, dass es sich hier um eine Weitergabe von Daten aus Ermittlungen zu einer „Nichtsteuerstraftat“ (s. Wertpapierhandelsgesetz) handelte, die keinen Bezug zu den die Ertragsbesteuerung der Ltd. betreffenden Besteuerungsverfahren aufwies. Unbeantwortet bleibt damit etwa, ob bei Weitergabe von Daten i. S. d. § 110 StPO aus steuerstrafrechtlichen Ermittlungen („Steuerstraftaten“) für damit regelmäßig in Zusammenhang stehende Besteuerungsverfahren anders zu entscheiden ist. Unklar bleibt auch, ob bei für das Besteuerungsverfahren doch relevanten Daten aus Nichtsteuerstraftaten oder einer nicht 2¾-jährigen Untätigkeit seitens der StA der BFH die Sache anders beurteilt hätte. Eine Übersendung nach erfolgter Durchsicht seitens der StA scheint der BFH außerdem unkritischer zu sehen.

Problematisch ist, ob Steuerpflichtige prophylaktisch Akteneinsicht/Besichtigung des FA bei den StAen (§ 395 AO, u. a. in „sonst sichergestellte“ Gegenstände) unterbinden können, die zur Einsicht in noch nicht durchgesehene, für die Besteuerung kaum relevante Papiere i. S. d. § 110 StPO führen könnte (BayOblG 20.12.21, 203 VAs 389/21, juris: für bisher umfassende Auskunft).

AUSGABE: PStR 8/2025, S. 172 · ID: 50430376

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