VerlustbeschränkungenBFH zu Verlusten aus Termingeschäften – Gesetzgeber, bitte reagiere!
| Verluste aus Kapitalvermögen beschäftigen seit Einführung der Abgeltungsteuer ständig die Gerichte. Zunächst ging es im Wesentlichen um die Frage, welche Verluste berücksichtigungsfähig sind. Nachdem der BFH mehrfach der Auffassung der Finanzverwaltung (z. B. bei Totalausfall von Forderungen, 20.11.18, VIII R 37/15; 6.8.19, VIII R 18/16, BStBl II 20, 833) widersprochen hatte, reagierte der Gesetzgeber mit der Einführung von § 20 Abs. 6 S. 5 und 6 EStG. Diese Regelung der sog. zeitlich gestreckten Verlustnutzung wurde seither zu Recht heftig kritisiert – bislang ohne Erfolg. Nachdem nun das FG Rheinland-Pfalz als erstes FG mit Beschluss vom 5.12.23 (1 V 1674/23) entschieden hat, dass die betragsmäßige Beschränkung der Verlustverrechnung bei Termingeschäften zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung führt, hat nun auch der BFH (7.6.24, VIII B 113/23) im AdV-Verfahren seine verfassungsrechtlichen Bedenken klar geäußert. Endlich Anlass genug für eine Reaktion des Gesetzgebers? Den Steuerpflichtigen wäre es zu wünschen. |
1. Steuerliche Behandlung von Verlusten aus Kapitalvermögen
Einkünfte aus Kapitalvermögen unterliegen der sog. Schedulenbesteuerung. Danach können Verluste aus Kapitalvermögen grundsätzlich nicht mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten (wie z. B. Gewinnen aus Gewerbebetrieb) verrechnet werden, sondern nur mit positiven Einkünften aus Kapitalvermögen. Sie mindern jedoch die Einkünfte, die der Steuerpflichtige in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus Kapitalvermögen erzielt (§ 10d Abs. 4 EStG findet sinngemäß Anwendung). Darüber hinaus enthält § 20 Abs. 6 EStG weitere Beschränkungen, so insbesondere für Verluste aus der Veräußerung von Aktien. Diese Verluste dürfen lediglich mit Gewinnen aus Aktienverkäufen verrechnet werden (vgl. § 20 Abs. 6 S. 4 EStG, § 20 Abs. 6 S. 5 EStG a. F.).
Eine entsprechende Beschränkung gilt seit 2021 auch für Verluste aus Termingeschäften (insbesondere Optionsgeschäfte, vgl. BT-Drs. 19/15876, S. 61), die nach § 20 Abs. 6 S. 5 EStG nur mit Gewinnen i. S. d. § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 EStG (Termingeschäfte) und mit Erträgen aus sog. Stillhaltergeschäften i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 11 EStG (Stillhalterprämien) verrechnet werden dürfen. Jedoch sieht das Gesetz hier eine weitgehendere Beschränkung vor, wonach die Verluste lediglich i. H. v. 20.000 EUR p. a. verrechnet werden dürfen.
Beispiel |
480.000 EUR zu versteuern, obwohl praktisch nichts „gewonnen wurde“ |
Ebenfalls der sog. zeitlich gestreckten Verlustnutzung unterfallen seit 2020 Verluste aus der ganzen oder teilweisen Uneinbringlichkeit einer Kapitalforderung, aus der Ausbuchung wertloser Wirtschaftsgüter i. S. d. § 20 Abs. 1 EStG, aus der Übertragung wertloser Wirtschaftsgüter i. S. d. Abs. 1 auf einen Dritten oder aus einem sonstigen Ausfall von Wirtschaftsgütern i. S. d. § 20 Abs. 1 EStG. Diese dürfen ebenfalls nur i. H. v. 20 000 EUR p. a. mit Einkünften aus Kapitalvermögen ausgeglichen werden.
Beispiel |
Verlustverrechnung würde mindestens 50 Jahre dauern |
2. Verfassungswidrigkeit der Verlustbeschränkung für Verluste aus Termingeschäften?
Die Verlustbeschränkungen für Einkünfte aus Kapitalvermögen im Privatvermögen der § 20 Abs. 6 S. 4, 5, und 6 EStG stehen zu Recht in der Kritik. Insbesondere die Regelung zur zeitlich gestreckten Verlustverrechnung nach § 20 Abs. 6 S. 5 und 6 EStG berücksichtigen das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit nicht hinreichend, weswegen diese Regelungen seit ihrer Einführung in der Literatur als verfassungswidrig eingeschätzt werden. Nichtsdestotrotz finden sie Anwendung und werden bei der Besteuerung der Anleger berücksichtigt. Dies spüren insbesondere die Anleger seit 2021, die bislang mit Termingeschäften Einkünfte verwirklicht haben.
Etwas Hoffnung macht den betroffenen Anlegern der Beschluss des BFH vom 17.11.20 (VIII R 11/18). Danach sieht der BFH die Verlustbeschränkung für Verluste aus Aktienveräußerungen als verfassungswidrig an und hat daher dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dass nach § 20 Abs. 6 S. 5 EStG i. d. F. des UntStRefG 2008 (heutiger S. 4 der Regelung) Verluste aus der Veräußerung von Aktien nur mit Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien und nicht mit sonstigen positiven Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden dürfen (2 BvL 3/21).
Die Entscheidung des BVerfG wird auch deshalb mit Spannung erwartet, weil sie hoffentlich auch Rückschlüsse auf die Verfassungswidrigkeit der Regelungen zulässt, die über die Beschränkung des § 20 Abs. 6 S. 4 EStG für Verluste aus Aktienveräußerungen hinausgehen. Da die Regelungen der zeitlich gestreckten Verlustnutzung deutlich über die Einschränkung für Aktienverluste hinausgehen, bestehen gute Chancen, dass diese Regelungen ebenfalls als nicht verfassungskonform eingestuft werden.
Inzwischen hat das FG Rheinland-Pfalz als erstes FG verfassungsrechtliche Bedenken an der Regelung zur Verlustnutzung aus Termingeschäften geäußert. In seinem Beschluss vom 5.12.23 (1 V 1674/23) hat es entschieden, dass die betragsmäßige Beschränkung der Verlustverrechnung bei Termingeschäften gemäß § 20 Abs. 6 S. 5 EStG i. d. F. des JStG 2020 zur Ungleichbehandlung führe, für die nach vorläufiger Prüfung ein sachlicher Rechtfertigungsgrund nicht vorliege. Aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung hat das Gericht die Beschwerde beim BFH zugelassen (VIII B 113/23). Zudem ist eine Musterklage gegen § 20 Abs. 6 S. 5 EStG seit dem 24.5.23 beim FG Baden-Württemberg unter dem Az. 10 K 1091/23 anhängig.
Inzwischen liegt auch der Beschluss des BFH vom 7.6.24 (VIII B 113/23) vor. Der BFH hat entschieden, dass nach seiner Auffassung bei der im Aussetzungsverfahren nach § 69 Abs. 3 FGO gebotenen summarischen Prüfung die Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte gemäß § 20 Abs. 6 S. 5 EStG i. d. F. des Jahressteuergesetzes 2020 vom 21.12.20 (BGBl I 20, 3096) nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist. Daher wurde die Beschwerde des Antragsgegners (FA) gegen den Beschluss des FG Rheinland-Pfalz vom 5.12.23 (1 V 1674/23) als unbegründet zurückgewiesen.
Der Streitfall |
Geklagt hatte ein unbeschränkt steuerpflichtiges Ehepaar, das für das Jahr 2021 (Streitjahr) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurde. In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr erklärten die Antragsteller u. a. ausländische Kapitalerträge aus Termingeschäften des Antragstellers gemäß § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 EStG i. H. v. 250.631 EUR und Verluste aus Termingeschäften im Sinne dieser Vorschrift von 227.289 EUR. Das Finanzamt berücksichtigte entsprechend der Neuregelung lediglich einen Verlust i. H. v. 20.000 EUR, Verlustvorträge und den Sparer-Pauschbetrag. So ergaben sich Einkünfte aus Kapitalvermögen von 213.826 EUR. Dementsprechend setzte das FA die Einkommensteuer für das Streitjahr auf 52.280 EUR fest. AdV-Antrag: Nur wirtschaftlicher Nettogewinn dürfe besteuert werden |
Nach Auffassung des BFH ist die Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte gemäß § 20 Abs. 6 S. 5 EStG i. d. F. des JStG 2020 bei summarischer Prüfung nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Ernstliche Zweifel können auch verfassungsrechtliche Zweifel hinsichtlich einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm sein. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das FG die begehrte AdV des Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr zu Recht gewährt.
Der Senat teilt bei der gebotenen summarischen Prüfung und ausgehend von den bisherigen Sachverhaltsfeststellungen des FG dessen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr. Die Regelung führt zu einer doppelten Begrenzung des Verlustausgleichs und der Verlustverrechnung, die zu einer zeitlichen Streckung der Verrechnung von Verlusten aus Termingeschäften führt. Durch die betragsmäßige Begrenzung wirkt § 20 Abs. 6 S. 5 EStG schärfer als die Verlustverrechnungsbeschränkung für Verluste aus der Veräußerung von Aktien des § 20 Abs. 6 S. 4 EStG.
Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Zwar ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, die er mit gleichen Rechtsfolgen belegt und damit als „wesentlich gleich“ qualifiziert. Diese Auswahl muss jedoch sachgerecht in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche erfolgen (vgl. nur BVerfG 28.11.23, 2 BvL 8/13, BGBl I 24, Nr. 47, m. w. N.). Dabei ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen aus dem allgemeinen Gleichheitssatz im Sinne eines stufenlosen, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Prüfungsmaßstabs unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen.
Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (ständige Rechtsprechung, zuletzt BVerfG 28.11.23, 2 BvL 8/13, BGBl I 24, Nr. 47, m. w. N.). Dabei ist eine zeitliche Streckung der Verlustverrechnung verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden (BFH 26.2.14, I R 59/12, BStBl II 14, 1016 zur Verfassungsmäßigkeit der Mindestbesteuerung bei Definitiveffekten). Der Kernbereich einer Nettoertragsbesteuerung wird aber verletzt, wenn die Gefahr besteht, dass der Verlustausgleich in der Totalperiode gänzlich ausgeschlossen ist (vgl. BFH 26.2.14, I R 59/12, BFHE 246, 27, BStBl II 14, 1016, Rz. 30). Ausgehend von den dargelegten verfassungsrechtlichen Maßstäben hält der Senat bei der gebotenen summarischen Prüfung § 20 Abs. 6 S. 5 EStG i. d. F. des JStG 2020 für nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar (so auch die herrschende Sichtweise im Schrifttum). § 20 Abs. 6 S. 5 EStG bewirkt eine doppelte Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen, die Verluste aus Termingeschäften erzielen.
Ausgabe: 08/2024, S. 317 · ID: 50083775
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