Logo IWW Institut für Wissen in der Wirtschaft
Login
FeedbackAbschluss-Umfrage

WahlfeststellungsbescheidFG akzeptiert Wahlfeststellungsbescheid nach einem Zigarettenschmuggel

Top-BeitragLeseprobe22.05.20254 Min. LesedauerVon RA Prof. Dr. Carsten Wegner, Krause & Kollegen, Berlin

| Der Erlass eines steuerlichen Wahlfeststellungsbescheids, mit dem der Abgabenschuldner wahlweise als Steuer- oder Haftungsschuldner in Anspruch genommen wird, ist verfahrensrechtlich möglich und verstößt weder gegen die AO noch gegen Verfassungsrecht. |

AdobeStock_32575189_Topnews.jpg (Bild: © Schlierner - stock.adobe.com)
Bild vergrößern
Bild: © Schlierner - stock.adobe.com

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über die Aussetzung der Vollziehung von Tabaksteuer. Im Auftrag der Staatsanwaltschaft führte das Zollfahndungsamt (ZFA) ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller (A), u. a. wegen des Verdachts der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei. Danach hat A im Zeitraum vom 30.6.22 bis 31.10.22 insgesamt 750 Stangen unversteuerter Zigaretten veräußert. Bei einer aus Anlass einer TKÜ durchgeführten Durchsuchung wurden 629 Zigaretten der Marke E mit deutschen Warnhinweisen, jedoch ohne Banderole sowie 3.400 Zigaretten der Marke F mit englischen Warnhinweisen, ohne Banderole, und 3.900 Zigaretten der Marke G mit russischen Warnhinweisen aufgefunden. Der genaue Reiseweg der Tabakwaren war nicht nachweisbar und dem A u. U. auch nicht bekannt. Fest steht jedoch, dass die verfahrensgegenständlichen Tabakwaren entweder direkt aus einem Drittstaat im Wege der Einfuhr oder aus einem anderen Mitgliedstaat in das deutsche Steuergebiet befördert/versandt worden sind. Der A sei für die Tabaksteuer daher entweder als Steuerschuldner nach § 23 TabStG oder aber als Haftungsschuldner nach § 71 AO wegen Steuerhehlerei in Anspruch zu nehmen. Ein entsprechender Zahlungsbescheid erging ausdrücklich unter Hinweis auf eine sog. Wahlfeststellung. A legte hiergegen Einspruch ein, den der Antragsgegner (AG) durch Einspruchsentscheidung als unbegründet zurückwies. Einen außergerichtlich gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) lehnte das AG durch Bescheid ab. Der dagegen gerichtete Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen, sodass es zu einer finanzgerichtlichen Befassung kam.

Entscheidungsgründe

Der zulässige Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist unbegründet (FG Hessen 15.1.25, 7 V 891/24, Abruf-Nr. 247459). Gem. § 69 Abs. 2, 3 FGO soll die Vollziehung eines Verwaltungsakts (nur) ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Merke | Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts bestehen, wenn bei einer überschlägigen Prüfung neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken.

Die Tat- und Rechtsfragen brauchen nicht abschließend geprüft zu werden. Die Entscheidung ergeht aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (BFH 20.1.15, XI B 112/14, BFH/NV 15, 537). Hinsichtlich des Prozessstoffs findet eine Beschränkung auf die dem Gericht vorliegenden Unterlagen (insbesondere die Akten der Finanzbehörde) sowie auf präsente Beweismittel statt (BFH 21.7.94, IX B 78/94, BFH/NV 95, 116).

Der Erlass eines Wahlfeststellungsbescheids ist nach den gesetzlichen Vorgaben der AO sowie nach der Rechtsprechung des BFH grundsätzlich zulässig. Dem stehen weder die jüngere Rechtsprechung des BFH betreffend das Exklusivitätsverhältnis zwischen Steuer- und Haftungsschuld noch verfassungsrechtliche Erwägungen entgegen.

Relevanz für die Praxis

AdV-Verfahren kommen den Betroffenen vielfach als ein – nicht kalkulierbares – Glücksspiel vor. Allzu groß sollten die Erwartungen insbesondere dann nicht sein, wenn der Antragsteller weitgehend passiv bleibt bzw. meint, bleiben zu können. Denn der Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung können i. d. R. nur solche Tatsachen zugrunde gelegt werden, die sich aus dem angefochtenen Verwaltungsakt oder dem glaubhaft gemachten Vortrag der Beteiligten ergeben. Es soll nicht Aufgabe des Gerichts sein, etwa aus umfangreichen Akten Feststellungen zu treffen (vgl. BFH 28.7.87, V B 68/86). Da es die Sache der Beteiligten ist, die entscheidungserheblichen Tatsachen darzulegen und glaubhaft zu machen (§ 155 S. 1 FGO i. V. m. § 294 Abs. 1 ZPO), muss detailliert vorgetragen werden. Und wenn etwas „vermisst“ wird, dann muss man sich z. B. schriftliche Zeugenaussagen erstellen und zum Vorgang reichen.

Merke | Glaubhaftmachung (§ 294 Abs. 1 ZPO) ist ein geringerer Grad der Beweisführung. Während eine Tatsache nur dann bewiesen ist, wenn sie nach der Überzeugung des Gerichts mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegt, genügt es für die Glaubhaftmachung, dass ein nicht nur geringes Maß an Wahrscheinlichkeit bzw. eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Existenz der Tatsache spricht, wobei sich der Antragsteller aller Beweismittel der ZPO bedienen kann.

Wahlfeststellungen sind dem Strafrechtler nicht fremd. Hier werden Konstellationen, in denen sicher feststeht, dass einer von mehreren alternativ in Betracht kommenden Tatbeständen verwirklicht ist, als sog. ungleichartige Wahlfeststellung bzw. auch Tatbestandsalternativität oder echte Wahlfeststellung bezeichnet (Tiemann in: KK-SPO, 9. Aufl., § 261 Rn. 179). Es handelt sich dabei nach der BGH-Rechtsprechung um eine prozessuale Entscheidungsregel, die dem Tatgericht vorgibt, wie es nach Abschluss der Beweisaufnahme bei einer bestimmten Beweislage entscheiden muss (BGH 8.5.17, GSSt 1/17, BGHSt 62, 164). Überträgt man diese Grundsätze auf das Steuerrecht, bestehen – so das FG – keine grundsätzlichen Bedenken gegen eine bescheidmäßige Verknüpfung von Steuer- und Haftungsschuld in Gestalt eines rechtsfolgenseitigen Exklusivitätsverhältnisses.

AUSGABE: PStR 6/2025, S. 137 · ID: 50373834

Favorit
Teilen
Drucken
Zitieren

Beitrag teilen

Hinweis: Abo oder Tagespass benötigt

Link
E-Mail
X
LinkedIn
Xing
Loading...
Loading...
Loading...
Heft-Reader
2025

Bildrechte